Am Anfang war Schweigen - Impressionen vom Wettbewerb im Zigarre langsam Rauchen 2015

Der Mensch liebt es, sich mit anderen zu messen, zu vergleichen. Das merkt man schon bei kleinen Kindern, bei denen der eine höher schaukeln oder schneller rennen kann als der andere und dies auch immer darstellen und kommentieren muss.

Zigarre rauchen dagegen ist eigentlich eher etwas zum Abschalten und Entspannen. Trotzdem gibt es immer wieder Versuche, auch daraus einen Wettbewerb zu machen. Dem voran stehen die Ausscheide um die längste Zigarrenasche. Ein Wettbewerb, der sich vielerorts großer Beliebtheit erfreut, auch wenn manche diesen vielleicht als überflüssig betrachten. Und als wäre das noch nicht genug, wird nun auch noch, und das weltweit, geschaut, wer die meiste Zeit zum Rauchen einer Zigarre braucht!

Ist das nicht ein bisschen albern? Das war auch meine erste Reaktion. Ich war beim deutschen Vorentscheid in diesem Jahr dabei und kann sagen, dass eine angenehme Atmosphäre entsteht und man bei diesem Wettbewerb interessante Erfahrungen sammelt!

Samstagnachmittag, VIP-Raum, die Red Lounge, in Reinhard Rauchs Szenelokal „Old Commercial Room“ in Hamburg: In der Mitte sind zwei runde und ein rechteckiger Tisch zu einer großen Tafel zusammengeschoben. Die Stühle drum herum sind mit einer Kordel abgesperrt. Auf dem Tisch liegen Streichholzschachteln und Abschneider, die Aschenbecher fehlen natürlich auch nicht.

Dieser Tisch war ausschließlich für die Teilnehmer des deutschen Vorentscheides im Langsamrauchen vorgesehen. Insgesamt fünfzehn Teilnehmer, darunter drei Frauen, nahmen die Herausforderung an. Dem Wettbewerb stellten sich dabei nicht nur gestandene Profis, sondern auch solche, die einfach gern ihr Glück versuchen wollten und unter Umständen bisher nur wenige oder gar keine Zigarren geraucht hatten. Einige hatten vorher trainiert, andere gar nicht. Und die weniger Erfahrenen waren am Ende, so viel sei schon einmal verraten, nicht unbedingt die Schlechtesten!

Cigarre langsam Rauchen in Hamburg

Örtlichkeit des Wettbewerbs im Zigarre langsam Rauchen

Bis halb fünf waren die Gäste in dem in Rot gehaltenen und wundervoll dekorierten Raum, die Gastgeberin Anja Rauch zeichnete dafür verantwortlich, eingetroffen. Zunächst standen alle noch in Gruppen zusammen und unterhielten sich angeregt. Ein wenig Aufregung war einigen Teilnehmer anzumerken, doch zu einem Scherz waren doch die meisten noch aufgelegt.
Der Wettbewerb unterlag strengsten Regeln, über deren Einhaltung Gerhard Heimsath von „Art of Smoke“ als Organisator des Wettbewerbs scharfsichtig wachte. Gerhard Heimsath war übrigens der Gewinner des letztjährigen deutschen Vorentscheids und hatte Deutschland bei der Weltmeisterschaft in Split im Vorjahr vertreten. Was allerdings nicht bedeutet, dass, ähnlich wie beim Eurovision Song Contest, immer der Gewinner des letzten Jahres den nächsten Vorentscheid austragen muss.

Pünktlich um 17 Uhr begann der Wettbewerb. Zunächst erläuterte Gerhard Heimsath den Ablauf, der ja bei diesem Wettbewerb akribisch vorgegeben ist. Anschließend durften sich die Teilnehmer eine Montecristo No.4 von einem Tablett auswählen. Danach war eine Minute Zeit, die Zigarre anzuschneiden. Dafür gab es Abschneider, die noch original verpackt waren. In der zweiten Minute, ein Timer lief gut sichtbar für alle auf einem Tablet mit, mussten die Teilnehmer ihre Zigarre anzünden. Dazu standen ihnen lediglich zwei Streichhölzer zur Verfügung und auch wirklich nur diese eine Minute. Alle Zigarren brannten.

Und dann kam Ruhe in den Raum, denn das Reden und alle möglichen Lautäußerungen sind, wie Gerhard Heimsath erläutert hatte, den Teilnehmern in den ersten fünf Minuten strengstens untersagt. Diesem Schweigen schlossen sich auch die Zuschauer an. Auch über diese fünf Minuten hinaus blieb es sehr still. Denn erfahrungsgemäß kann man sich auf eine Zigarre besser konzentrieren, wenn man sich nicht durch ein Gespräch ablenken lässt. Und dieses Schweigen hatte etwas faszinierendes, eine weihevolle Ruhe erfüllte den Raum. Hin und wieder machten Zuschauer die ein oder andere geflüsterte Bemerkung, aber im Großen und Ganzen genoss man und schwieg.

Und dann, nach 14 Minuten, ertönte plötzlich schon die erste Schreckensbotschaft: Meine Zigarre ist aus! Kaum zu fassen, aber es war passiert, und das nach so kurzer Zeit. Denn während mancher vielleicht sonst die Angewohnheit hat, seine Zigarre zu schnell zu rauchen, bestand hier wirklich die Kunst darin, nicht zu wenig zu ziehen. Natürlich mochte jeder der Teilnehmer so lang wie möglich seine Zigarre rauchen, aber man durfte mit dem Ziehen nicht an der falschen Stelle sparen. Und ein zweiter Teilnehmer machte nach 16 Minuten Meldung, in den weiteren Minuten folgten ein dritter, vierter und fünfter. Einige der Ausgeschiedenen konnten es kaum fassen, aber war die Zigarre einmal aus, war der Wettbewerb für sie leider vorbei.

Herr Gerhard Heimsath

Die Ausgeschiedenen entfernten sich leise und dezent vom Wettbewerbstisch und gesellten sich zu den Gästen. So blieb die Atmosphäre auch weiterhin ruhig und gedämpft. Die meisten Ausgeschiedenen rauchten ihre Zigarre dann ganz entspannt gemeinsam mit den Gästen; nach einem weiteren Wiederanzünden, versteht sich. Die drei Damen waren übrigens zu diesem Zeitpunkt alle noch im Rennen.

Doch nach einer reichlichen halben Stunde Rauchzeit, zwischen 34 und 42 Minuten waren seitdem vergangen, mussten vier weitere Teilnehmer das Feld räumen, darunter zwei der Damen. Eine davon, das muss an dieser Stelle erwähnt werden, ist inzwischen hochbetagt, hatte in den letzten Jahren ihren dementen Mann gepflegt, schon sehr lange keine Zigarren mehr geraucht und war erst seit wenigen Tagen wieder, wie sie selbst sagte, unter Menschen. Respekt!

Man näherte sich der ersten Stunde. Und da waren es zwei Teilnehmer, die leider die Stundenmarke nicht ganz erreichten. So waren jetzt noch vier der Teilnehmer im Rennen, darunter eine Frau. Einerseits merkte man, wie die Spannung stieg, andererseits tat die Ruhe der gesamten Atmosphäre sehr gut. Es gab keine lautstarken Zwischenrufe aus dem Publikum, keine unpassenden Bemerkungen am Rande, sondern wohltuende Ruhe. Und dadurch, dass man sich nur auf die Zigarre konzentrierte und bewusst nicht sprach, ergab sich eine ganz andere Situation, als wenn man beispielsweise allein irgendwo gesessen und geraucht hätte. Man raucht dann ganz anders, die Zigarre rückt in den Mittelpunkt, man schaltet vieles rundherum ab, denkt kaum mehr an etwas anderes. Ein Moment höchster Kontemplation.

Hans Pinnel und Gerhard Heimsath

links: Der Gewinner Hans Pinnel; rechts: Der Veranstalter Gerhard Heimsath

Nach einer Stunde und sechs Minuten war für den vierten noch verbliebenen Teilnehmer Martin Unger leider Schluss. Er stolperte damit nur ganz knapp am Siegertreppchen vorbei. Anja Rauch, Aficionada noch ganz im Anfangsstadium, musste nach einer weiteren Minute ihre Zigarre als erloschen konstatieren, belegte damit aber den dritten Platz. Nun waren nur noch zwei Leute im Rennen: Hans Pinnel und Hartmut Tschetschorke, gestandene Havanna-Experten. Aller Augen richteten sich auf die beiden Zigarren. Und vor jedem Zug die spannende Frage: Ist die Zigarre noch an?
Und an dieser Stelle kam eine weitere Schwierigkeit hinzu: der Zigarrenring muss nämlich unversehrt bleiben. Man raucht die Zigarre nicht bis ganz zum Ende, sondern nur bis vor den Zigarrenring. Vor dem Wettbewerb war überprüft worden, ob die Ringe alle exakt an derselben Stelle angebracht waren. Sollte sich der Zigarrenring entzünden, gab es 15 Minuten Abzug! Viel Zeit, wenn man sich überlegte, wie viel das anteilig an der gesamten Rauchdauer war.
Nach einer Stunde und 16 Minuten gab Hartmut Tschertschorke seine Zigarre, die ausgegangen war, ab. Eine Minute später legte Hans Pinnel seine Zigarre weg. Er wollte nicht riskieren, seinen Zigarrenring anzuzünden, das hätte ihn wertvolle 15 Minuten und damit den Sieg gekostet. Er musste strategisch handeln und gewann damit den Wettbewerb. Nun wird er im September nach Split reisen und Deutschland bei der Weltmeisterschaft vertreten. 5THAvenue finanziert seine Reise. Die Glückwünsche kamen von allen Seiten, der Sieger war sichtlich erleichtert und froh und so war aus dem Nachmittag langsam Abend geworden. Gespräche kamen auf, doch die Atmosphäre blieb entspannt und ruhig. Irgendwie hatte man sich an diese Ruhe gewöhnt.

Kulinarisch war für viele das Labskaus, die Spezialität des Hauses, der Höhepunkt des Abends. Für Nicht-Hamburger und Nicht-Seeleute: ein interessanter und wohlschmeckender Brei aus gepökeltem Rindfleisch, Gemüse, Kartoffeln und noch allerlei mehr, serviert mit Gewürzgurken, Matjes und Roter Beete.
Bis in die frühen Morgenstunden des Sonntags saß man noch zusammen und genoss über den gesamten Abend die „Grußworte“ von 5THAvenue: die H. Upmann Half Corona, die Montecristo Double Edmundo und die Romeo y Julieta Pirámides Añejados.

Und was bleibt am Ende, was nimmt man für sich mit nach Hause? Vielleicht ein anderes Bewusstsein, ein neues Gefühl für die Zigarre und ein damit verbundener intensiverer Genuss. Die Teilnahme am Wettbewerb ist, auch wenn man nicht gewinnt, auf jeden Fall nicht umsonst!